In Italien wurden seit Mitte der siebziger Jahre über 2 Millionen meist illegale Rohbauten erstellt, ein Grossteil davon mit über 8 Milliarden Steuergeldern.
Realisiert von Politikern, Spekulanten und privaten Investoren.
Die Mahnmale der Misswirtschaft und Planungsfehler stehen auf über 2000 Hektaren Land.
Die unvollendeten Gebäude auf meinen Aufnahmen in der Umgebung von Lecce in Apulien, sind häufig die Folge gescheiterter Familienplanung. Zu viele Stockwerke werden gebaut, damit die ganze Familie unter einem Dach leben kann. Doch meistens ziehen die Kinder fort, Geschwister kommen nicht miteinander aus, oder wollen sich an den Bauplänen der Eltern nicht beteiligen.
Da ein grosser Teil der Bevölkerung dieses Vorgehen toleriert oder sogar damit sympathisiert ist es nicht verwunderlich, das nachträglich, wenn überhaupt, eine Baubewilligung in Form eines Condoni, eine Art Ablasshandel erstellt wird.
Die Häuser wirken oft gespenstisch, wie es der italienische Musiker Sergio Endrigo in seinem Lied La Casa ironisch besungen hat:
Es war ein sehr schönes Haus, ohne Decke ohne Küche.
Du konntest nicht hineinkommen, weil es keinen Boden gab,
du konntest nicht ins Bett gehen weil es in diesem Haus kein Dach gab.
Du konntest nicht pinkeln, weil es dort kein Töpfchen gab.
Aber es war wunderschön, an der Strasse der verrückten Nummer 0
Da meine Bilder schon über 6 Monate im Schlafzimmer hängen, entdeckte ich, beim Anblick dieser seit bald 50 Jahren vor sich hin marodierenden Gebäude, die Fassadentheorie,
wonach der Mensch in seinem Verhalten nur eine dünne moralische Fassade besitzt, die durch Kultur und Zivilisation entstanden ist
und seine egoistische und destruktive Natur überdeckt.
In Krisensituationen und unter emotionalem Druck kann diese Fassade leicht zusammenbrechen, sodass amoralische und asoziale Tendenzen die Oberhand gewinnen.
Aussteller photo-schweiz 2021
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